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Eine Rundreise um die frühen Neurosen und die Eisenbahn

Eine Geschichte der Psychotraumatologie verweist auf einen historischen Rückblick mit einer Begriff­lichkeit, die die Entwicklung einer Profession untersucht – einer Profession, die sich aus unterschied­lichsten Disziplinen speist: der Medizin, der Psychologie, der Soziologie etc.
Im Vordergrund steht die Medizingeschichte, die den Begriff Trauma als Wunde kennt, der die Haut als die menschliche Grenzzone verletzt hat. Dem Trauma ist auch vor diesem Hintergrund das dissozi­ierende immanent, wenn sie eine „Voneinandersonderung der natürlichen Vereinigung“ kennzeichnet, wie Johann Jacob Woyt 1734 im lesenswerten Aufsatz von Fischer-Homberger (1999, S. 261) bemerkte. Der Verletzung im Sinne eines Traumas folgt oft ein Schmerz.

Nun war die Gerichtsbarkeit damals gezwungen, neue Sichtweisen zu bedenken, wenn es zwar Ver­letzungen – Traumata – gab, diese aber nicht sichtbar waren wie z.B. ein Schock. Damit gab es eine Unterscheidung in sichtbar und nichtsichtbar bzw. innen und außen; das Trauma war nicht mehr nur in den Händen der Chirurgie.

Mit der Weiterentwicklung der Mobilitäten – vor allem die Eisenbahnen – kamen neue Probleme auf die Menschen zu, wie Erichsens Publikation On railway and other injuries of the nervous system von 1866 (ebda).

Die Passagiere waren demzufolge wirklich einer Gefahr ausgesetzt; erste rechtliche Klagen gegen die Eisenbahngesellschaften mussten sich mit einer Symptomatik auseinandersetzen, die erst Tage oder Wochen nach einer Eisenbahnfahrt vakant und akut wurde: die Begründung Erichsens: Erschüt­terungen führen zu mikroanatomischen Verletzungen des Rückenmarks und damit zu den Traumafol­gen. Erschütterung im psychotraumatologischen Sinne ist zweifellos der Zeit vorausgedacht.

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Naturwissenschaftlich war die Argumentation nicht haltbar; die nachfolgenden und moderneren Begrifflichkeiten hielten sich noch lange, wie die der traumatischen Neurose von Hermann Oppenheim 1889, die traumatische Neurasthenie und die traumatische Hysterie (ebda, S 266 ff; Barwinski-Fäh, 2000) Psychotherapie Graz

Die Diskussion um die Neurose war das Thema der Neurologie und Psychiatrie der Zeit, aber auch in Bezug auf Entschädigungszahlungen ein brisantes Thema.

Nun lagen die Überlegungen der anatomischen Verletzungen der Spina gar nicht so weit weg von einer psychischen Ätiologie, wie Fischer-Homberger zeigen kann, wenn Anato­men das Rückenmark als etwas beseeltes betrachteten; wie auch Goethe.

Auf Herbert Page (1885), einem britischen Chirurgen und Spezialisten für Eisenbahnfolgeschäden, geht der Begriff der Schreckneurose zurück, die er zu den purely psychical causes zählte.

Nun waren die Neurosen oder hysterischen Erscheinungen von den Simulationen nicht gut zu unter­scheiden – bzw. wurde den Leidenden Simulation unterstellt; Charcot und andere Mediziner, die sich mit Hypnose und Suggestion beschäftigten konnten die scheinbaren Simulanten entstigmatisieren. Graz

Das Vorhaben der Mediziner des 19. Jahrhunderts unterschied sich nur gering von der heutigen naturwissenschaftlichen Vermessung der Psyche, wenn der Versuch, das Psychische auf sein körper­liches Korrelat zu reduzieren, im Vordergrund stand. Auch in den nachfolgenden Kapiteln wird dem Neurobiologischen bzw. Neuropsychologischem aus wissenschaftsaktuellem Anlass viel Raum zuteil­werden (Gruß von Descartes).