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Der Holocaust

Die Holocaust-Forschung zeigt eindrucksvoll den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Prozessen und Krankheit. Wenn Einsicht- und Schuldübernahme bzw. Verantwortungsüber-nahme für verübte Gräueltaten von Völkern gegenüber anderen Ethnien nicht Teil einer Grund-haltung sind, dann scheint auch eine Anerkennung von verursachtem Leid kaum möglich. Die Schuld respektive die Verantwortung dafür werden abgewehrt.

holocaust_trauma_surviver syndromDas Wiedergutmachungsgesetz für die amerikanische Besatzungszone legte fest: „Der Verfolgte hat Anspruch auf Entschädigung, wenn er an seinem Körper oder an seiner Gesundheit nicht unerheblich geschädigt worden ist. Es genügt, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Schaden an Körper oder Gesundheit und der Verfolgung wahrscheinlich ist (Niederland in Sachsse, 2009, S: 17).“

Die „Schädigung“ war fachärztlich zu begutachten, was nach damaligen Sichtweisen aufgrund der noch nicht fortgeschrittenen Aufarbeitung kalt, quasi abgespalten verlief: Es galt die alther-gebrachte Annahme, dass jeder Mensch Leid ertragen könne. Ist das aktuelle Trauma beendet, dann ist auch die traumatische Reaktion nicht mehr, als eine solche zu verstehen; was den Opfern des Holocausts unterstellt wurde ist wie zur Zeit der Rentenzurückweisung: Hypochondrie, Hysterie und Betrug im Sinne von Versicherungserschleichung.

Die Gutachtenpraxis wurde vom damaligen psychiatrischen Lehrgebäude Kurt Schneider’s bestimmt. Dieser griff auf die klassisch-psychoanalytische Zugangsweise zurück, dass bei bleibenden traumatischen Reaktionen die psychische Prädisposition bzw. Konstitution maßgeblich sei. Die PatientInnen mussten unter Beweis stellen, dass das Leid in ihnen nicht schon Geschichte hatte. Die Bedingungen, auf die die Traumatisierten trafen, waren – abge-sehen vom ungleichen Kampf – retraumatisierend. psychotherapie graz

Die Antwort auf die Verdächtigung einer möglichen Rentenneurose gipfelt in Gutachten z.B. des Wiener Psychiaters Hoff (1956), der die Belastungsfähigkeit der Seele im Unendlichen sah(ebda)“.

Auch heute ist der Umgang mit dem Trauma noch nicht geklärt, die Auffassungen nach wie vor sehr unterschiedlich. Dass Menschen in und aus ihren Lebenswelten und -konzepten gebrochen werden ist noch nicht common sense. Erst mit Niederland (1968) wird der Begriff des Überlebenden-Syndroms, des survivor syndrom’s (vgl. Lennertz, 2006, S. 90) geprägt, der einen massiven „erlebnisbedingten Persönlichkeitswandel“ (Venzlaff in Sachsse, S: 17) zu erfassen versucht.

Die Symptome, die damit erfasst wurden lassen die tiefsten Erschütterung nur erahnen; Ängste in all ihrer Variabilität, depressive Zustandsbilder, ein hohes Maß an Aggressivität, Erinnerungs-störungen, Denkstörungen, Störungen des Identitätsgefühls, Überlebensschuld etc. (vgl. Lennerzt, 2006; Sachsse, 2009; Fischer & Riedesser, 2009).

Die typischen Merkmale bei Überlebenden des Holocaust lassen sich wie folgt zusammen-fassen:

= Es vergingen oft Jahre, bis sich Symptome einstellten. Es gibt eine Latenzzeit.
= Dauer und Grauen sind die Wirkfaktoren – nicht die psychische Prädisposition
= Trauerprozesse sind erschwert – Abreaktionen sind mögliche, aber keine „richtigen“ Trauerprozesse
= Entgegen der Annahme der Psychoanalyse führen die Erfahrungen zu keiner Regression auf eine bestimmte psychosexuelle Phase entsprechend der Lehre
= Es findet eine Zerstörung der psychischen Struktur statt
= Es scheint eine doppelte Realität zu geben, eine zwischen funktionierendem Alltag und eine, wenn der Holocaust wieder Teil der Realität wird
= Es folgt eine Weitergabe des Traumas an die Nachfolgegeneration: Schuld, Depression, Ängste sind in der zweiten Generation wiederkehrende Themen

Trauma und Trauma ist nicht einerlei; die Gefahr, die heute passiert ist das die politischen Aspekte, die zeitlich überdauernden gesellschaftlichen Prozesse außer Acht gelassen werden (vgl. dazu Keilson, Becker, S. 12). psychotherapie

Die Beschreibungen ähneln dem konventionellen Traumaverständnis, sind aber im Gesamtbild – wie in obiger Auflistung verdeutlicht – verschieden: ie Fähigkeit zu trauern, weil sich in ihnen eine Melancholie und Unfähigkeit zur Trauer breit gemacht hat (vgl. Fischer & Riedesser, 2009) ist ein Anliegen der therapeutischen Arbeit.

Weiterführende Arbeiten finden sich bei Kestenberg (1982) und bei Bergmann (1996) bzw. der bereits erwähnte Niederland. Margarethe Mitscherlich (1967) konnte in „Die Unfähigkeit zu trauern“ zeigen, dass die Unfähigkeit zur Trauer um die eigenen Toten eine Auseinander-setzung mit dem Leid anderer verunmöglicht. graz psychotherapie psychotherapeutin

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Kestenberg (1982) Survivor Parents and their Children
Bergmann (1996) Fünf Stadien in der Entwicklung der psychoanalytischen Traumakonzeption